Stand: 18.02.2022 | Lesedauer: 5 Minuten Von Freia PetersPolitikredakteurin
„Wir haben der Politik bereits signalisiert, dass wir überfordert sind“, sagt Dr. Johannes Niessen, Vorsitzender der BVÖGD, zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Man sei bereits jetzt an der Grenze und könne kaum die Pflege-Impfpflicht korrekt durchführen. Quelle: WELT AUTOPLAY
Trotz flächendeckender Lockerungen der Corona-Eingriffe bleibt die Impfpflicht für Pflegekräfte bestehen. Leiter von Pflegediensten und Kliniken haben dafür kein Verständnis. Sie fürchten, ab Mitte März wegen Personalausfällen noch mehr Patienten als bisher abweisen zu müssen.
In den vergangenen Wochen musste Pflegedienstleiter Jan Basche mehrmals täglich Patienten ablehnen. Etwa die Frau, die um eine Versorgung ihres Mannes nach seinem Schlaganfall bat. Ihr Mann sollte aus der Reha entlassen werden, sie selbst hatte sich bei einem Sturz den Fuß verstaucht und konnte ihn nicht betreuen. „Diese Frau sagte mir, wir seien der 15. Pflegedienst, den sie um Hilfe bittet“, erzählt Basche am Telefon. Zweimal täglich müsste eigentlich jemand kommen, um den Mann aus dem Bett zu holen, zu waschen und abends wieder ins Bett zu bringen. „Das ist für uns derzeit schlicht nicht leistbar. Wir haben null Prozent Personal-Reserven.“ Basche konnte nur die absolut lebensnotwendige Betreuung anbieten, nämlich einmal in der Woche Einkaufen und dem Pflegebedürftigen beim Duschen helfen. Dem Mann bleibt nun nichts anderes übrig, als im Bett liegenzubleiben. Pflegedienstleiter Jan Basche Quelle: WELT Jan Basche ist Geschäftsführer von drei Pflegediensten in Berlin und Frankfurt am Main. Von seinen knapp 300 Mitarbeitern sind zehn nicht geimpft. Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Eine russischstämmige Mitarbeiterin etwa besteht auf dem Sputnik-Impfstoff. Ein Pfleger, Basche hält ihn für einen seiner besten Mitarbeiter, möchte seinen Grund nicht nennen. Der Beschäftigte wolle nun – sollte es im Zuge der berufsbezogenen Impfpflicht zu einem Beschäftigungsverbot für ihn kommen – sein Gespartes aufbrauchen und hoffe, dann im Frühsommer wieder zurückkehren zu können in seinen Job, den er liebe. Und danach sieht es aus. Denn an der Impfpflicht für Mitarbeiter des Gesundheitswesens soll laut Beschluss der Ministerpräsidenten-Konferenz trotz massiver Kritik nicht gerüttelt werden. In eigenen Protokollerklärungen zum gemeinsamen Beschlusspapier warnten mehrere Bundesländer vor den Folgen. PFLEGERIN GEGEN IMPFPFLICHT „Soll sich Lauterbach doch mal hinstellen und unsere Arbeit machen!“ Nach dem derzeitigen Infektionsschutzgesetz, das „zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen“ eine berufsbezogene Impfpflicht vorsieht, muss ab dem 15. März jeder ungeimpfte Mitarbeiter von Kliniken, Heimen und Pflegediensten dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Ab dem Tag darauf sei dann „ohne Vorlage eines entsprechenden Nachweises keine Aufnahme der Tätigkeit in den betroffenen Einrichtungen mehr möglich“. Doch die Gesundheitsämter in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin haben bereits angekündigt, mit der Überprüfung überfordert zu sein. Was folgt aus einer Anhörung von ungeimpften Mitarbeitern? „Die Diskussion ist ganz offensichtlich noch nicht abgeschlossen“, sagt Dirk van den Heuvel, Geschäftsführer des Bundesverbandes Geriatrie, in dem mehr als 400 Institutionen aus ganz Deutschland organisiert sind – Abteilungen in Krankenhäusern etwa, die vor allem ältere Patienten behandeln oder Reha-Kliniken. „Wir hätten uns mehr Klarheit gewünscht.“ Fest steht bisher: Nach der Meldung soll es zu einer Anhörung eines ungeimpften Mitarbeiters kommen. Doch was folgt daraus? Ein Betretungsverbot der Arbeitsstätte? Wie schnell wird es verhängt? Kommen eine Anhörung und das entsprechende Verbot möglicherweise erst Monate nach dem 15. März und fällt somit in den Sommer mit vermutlich niedrigen Inzidenzen und verfehlt damit die Notwendigkeit? Gibt es für den freigestellten Mitarbeiter den Anspruch auf Arbeitslosengeld? Und wenn ja, gilt eine Sperre von drei Monaten, weil der Austritt aus dem Job durch die fehlende Impfung selbst verschuldet ist? LESEN SIE AUCH CORONA-POLITIK Pflegekräfte mit der Impfpflicht aus dem Beruf zu drängen, ist beschämend „Es sind unzählige Fragen offen“, sagt Pflegedienstleiter Jan Basche. „Für mich ist es eine Katastrophe, wenn ich auch nur einen Mitarbeiter unbezahlt freistellen muss. Die Personaldecke ist in unserer Branche ja nicht knapp, sie ist längst gerissen. Wir werden Patienten nicht mehr versorgen können.“ Wer spritze dann Insulin, gebe Medikamente, wechsele die Windeln? „Diese Menschen können nirgendwo anders hin“, sagt Basche. „Wir haben die Versorgungsverantwortung.“ Patienten, die einen Aufenthalt in der Reha-Klinik benötigen, müssten künftig abgelehnt werden. „Reha-Kliniken können die Aufnahme neuer Patienten ja steuern“, sagt Geschäftsführer van den Heuvel. „Aber was dann mit den Patienten geschieht, die eine Rehabilitation benötigen, die wir aber ablehnen müssen, das ist eine ganz andere Frage.“ Ganz zu schweigen von der wirtschaftlichen Krise, in die eine Klinik gerate, wenn sie auf Dauer nicht alle Betten belegen könne. LESEN SIE AUCH CORONA-IMPFUNGEN Fragezeichen beim mRNA-Impfstoff In der täglichen Pflege kann bereits jetzt nicht mehr jeder versorgt werden, der Hilfe benötigt. Oft bekommt Basche ungefragt ein Fax aus dem Krankenhaus mit einer Verordnung über Medikamente für einen neuen Patienten. „Ich rufe dann im Krankenhaus an und sage, das ist ein netter Versuch, liebe Kollegen, aber ich kann keine neuen Patienten aufnehmen!“ Denn momentan gebe es wegen der Omikron-Welle und auch wegen unbetreuter Schul- oder Kitakinder der Mitarbeiter bereits viele Personalausfälle. „Die Lücke können wir nur mit Leasingkräften ausfüllen und indem wir Leistungen verschieben“, sagt Basche. Wenn sich etwa eine alleinerziehende Mutter den Arm bricht, wird das Kind versorgt und eingekauft – aber das Putzen der Wohnung etwa werde verschoben. Trotz allem bleibt Basche gelassen. Ob die Impfpflicht für seine Mitarbeiter tatsächlich so kommen wird? Basche bezweifelt es. „Wir in der Pflegebranche sind Verunsicherung gewöhnt“, sagt er, „seit zwei Jahren ändern sich die Fakten sehr schnell.“
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